Der Zigeunerbaron in der Komischen Oper Berlin

Der Zigeunerbaron - Johann Strauss - Komische Oper © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

Der Zigeunerbaron in der Komischen Oper Berlin

 

Von Holger Jacobs

07.06.2021

Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)

Die mit Spannung erwartete Premiere nach siebenmonatiger Pause brachte schöne Melodien, aber wenig Spannung.

Der <<Zigeuner>>baron (eine Schreibweise, die die Komische Oper extra für diese Inszenierung wählte) hatte ihre Uraufführung 1885 im Theater an der Wien.
Zu der Zeit war der Komponist Johann Strauss (Sohn) schon ein sehr bekannter Musiker für Tanzmusik, der mit seinem Orchester von Veranstaltung zu Veranstaltung zog, ähnlich wie ein heutiger DJ’s.
Nur das damals Walzer, bzw. Wiener Walzer, getanzt wurde.
Strauss war ein Meister im Komponieren von Walzern und wurde deshalb auch bald Walzerkönig genannt.
Sein bekanntester ist natürlich „An der blauen Donau…“, Österreichs inoffizielle Nationalhymne. Dementsprechend haben auch viele der Melodien im „Zigeunerbaron“ einen ¾ Takt.

Intendant Barrie Kosky hatte vor einiger Zeit den Opernregisseur Tobias Kratzer (*1980), der u.a. den „Tannhäuser“ 2019 in Bayreuth mit großem Erfolg inszeniert hat, gebeten für die Komische Oper eine Operette einzustudieren.
Dessen Wahl fiel auf den „Zigeunerbaron“, da er erstens nicht so häufig gespielt wird, zweitens eine politische Aussage mit einem starken Bezug zum Heute hat, und drittens eine interessante Partitur besitzt, die nicht nur operettenhafte Leichtigkeit, sondern auch opernhafte Strenge beinhaltet.

Für mich und wahrscheinlich auch für die meisten Zuschauer ist der politische Aspekt dieser Neuproduktion durchaus interessant. Denn es spricht die Themen Migration, Immigration, Integration, Vielfältigkeit und Anerkennung von Minderheiten an.

Deshalb wurde auch der Titel „<<Zigeuner>>baron“, mit Klammern um das Wort „Zigeuner“ versehen.

Wobei hier gleich zwei brisante Themen ins Auge fallen:

  1. Die Diskriminierung von Minderheiten durch eine Mehrheitsgesellschaft.
  2. Die Diskussion um Bezeichnungen und Wörter, die heute als rassistisch angesehen werden („Zigeuner“, „Neger“, et.c).

Auf diese Thematik näher einzugehen würde aber den Rahmen meiner Rezension sprengen.
Ich erinnere hier nur an das Zitat des Oberbürgermeisters von Tübingen, Boris Palmer, der den Kommentar einer anderen Person auf seinem eigenen Twitter-Account teilte/ zitierte.
Wortlaut: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist, hat Frauen seinen Negerschwanz angeboten…“.
Alle Medien, die darüber berichteten, vermieden tunlichst das N-Wort auszusprechen, bzw. zu zitieren.

Der Tweet von Boris Palmer in der Berichterstattung der Medien

Zwar sollte dies ein Scherz gewesen sein (nach Aussage von Palmer), der aber genauso daneben ging wie die kurz zuvor veröffentlichten Videos von 51 Schauspielern, die sich scherzhaft über die angeblich zu strengen Corona-Maßnahmen geäußert hatten…

Ihr seht, hier gibt es eine ganze Reihe von sensiblen Themen.

Doch wie hat Regisseur Tobias Kratzer diese Problematik in seiner Inszenierung umgesetzt?

Eigentlich nicht wirklich. Und wenn ja, spürt der Zuschauer es nicht.
Zwar wird Kratzer im Programmheft in einem Interview zitiert, was er alles gekürzt hätte (Textpassagen) und was er gestrichen hätte (z.B. die Figur des Conte Carnero, ein reaktionärer königlicher Kommissär), aber auf den Zuschauer wirkt sich dies nicht aus, da ein direkter Vergleich zum Original fehlt (außer vielleicht für jemanden, der durch Zufall nur wenige Tage zuvor eine andere Inszenierung im Original gesehen hat).

Diese Inszenierung des Tobias Kratzer wirkte für mich immer noch in erster Linie als Komödie.
Denn die Verleumdungen („Kesselflicker und Pferdediebe“) gegenüber den sogenannten „Zigeunern“ seitens der österreichischen Bürger wirken eher floskelhaft dahergeredet, so wie bis heute konservative Bürger über Menschen herziehen, die sie aus irgendwelchen Gründen nicht leiden können.

Was viel deutlicher zum Tragen kommt, ist der eigentliche Grund, warum Johann Strauss diese Operette am Ende des 19. Jahrhunderts wohl geschrieben hat:
Die Persiflierung der Gesellschaft früherer Jahrhunderte mit ihren Standesdünkeln (Arsena: „Es muss ein Baron sein…) und Herabwürdigung niederer Stände (Arbeiter, Bauern) und Volksgruppen (Zigeuner).
Solche Themen wurden in der Zeit von vielen Autoren auf die Bühne gebracht, weil sie damals für jeden im täglichen Leben zu spüren waren.

Intendant Barrie Kosky begrüßt die Zuschauer nach der langen Corona-Pause © Holger Jacobs

Handlung

Der Weltenbummler Sandor Barinkay (Thomas Blondelle) kommt nach vielen Jahren in seine Heimat zurück und findet auf seinem Grundstück eine Gruppe von Zigeunern, die sich dort niedergelassen haben, weil sie das Land für unbewohnt hielten.
Bevor er sich groß darüber aufregen kann, verliebt er sich aber in die junge Zigeunerin Saffi (Mirka Wagner).
Gleichzeitig will sein Nachbar Zsupan  (Philipp Meierhöfer) ihn mit seiner Tochter Arsena (Alma Sadé) verheiraten, weil sich auf Barinkays Grundstück ein Schatz befinden soll.
Arsena aber lehnt Barinkay ab, „weil er ja kein Baron ist“ (in Wirklichkeit will sie nicht, weil sie jemanden anderen liebt). Verärgert über diese Herablassung lässt sich Barinkay von den Zigeunern zu deren Baron küren. Als der Husar Graf Homonay (Dominik Köninger) zum Kampf gegen die Spanier aufruft folgen ihm alle in den Krieg, auch die Zigeuner.
Bei ihrer glorreichen Wiederkehr stellt sich heraus, dass es ausgerechnet diese Zigeuner waren, die am besten für „ihr“ Land gekämpft hatten.

Kritik

Abgesehen von den oben genannten politischen Besonderheiten des Stücks, kann ich an dieser Inszenierung nicht viel Aufregendes finden.
Corona-bedingt gibt es nur ein einziges Bühnenbild, welches die Architektur des Innenraums der Komischen Oper fortsetzt.
Durch drei Torbögen hindurch sieht der Zuschauer im Hintergrund das Orchester der Komischen Oper auf der Bühne (siehe Foto).
Die Corona-bedingten notwendigen Abstände der einzelnen Musiker zueinander waren im engen Orchestergraben nicht zu gewährleisten.

Durch dieses einheitliche Bühnenbild nimmt die Spannung schnell ab, denn jede Szene ähnelt der vorausgegangen.
Da können sich die Sänger/ Darsteller auch noch so viel auf der Bühne bewegen, der Funke will irgendwie nicht überspringen.
Alles scheint so dahinzuplätschern, so dass auch Höhepunkte nicht wirklich als solche wahrgenommen werden.
Das Dirigat von Stefan Soltesz (*1949) war wenig schwungvoll und ohne Energie.

Auch die Sängerinnen und Sänger konnten nur bedingt glänzen. Bei weitem am besten gefiel mir Thomas Blondelle in seiner Hauptrolle als Barinkay.
Er ist einfach ein toller Sänger, spielt gut und sieht fabelhaft aus. Bei den anderen Herren konnte noch Philipp Meierhöfer als Nachbar Zsupan überzeugen.

Bei den Sängerinnen stach natürlich Mirka Wagner als Zigeunerin Saffi heraus. Allerdings war ihre Stimme häufig zu gepresst und übertrieben laut. Hier sollte sie selbst etwas bremsen.
Auch sah Mirka Wagner in ihrem Kostüm (schwarzer, weiter Rock, weiße Bluse) nicht sehr glücklich aus.

Alma Sadé war als Tochter Arsena hübsch anzusehen, ihre Stimme kam weich und liebevoll und passte zu ihrer Rolle.

Fazit: Ein vergnüglicher Operettenabend, der mehr politische Brisanz verspricht, als er halten kann. Dafür aber wunderschöne Walzermelodien („Ja, das alles und mehr“) und gut aufgelegte Sängerinnen und Sänger.
Ein kleines Tänzchen an einem lauen Sommerabend unter dem Sternenhimmel wäre jetzt genau das Richtige!

Bilderserie mit 7 Fotos vom „<<Zigeuner>>baron“:

7 Photos: Husar Graf Homonay (Dominik Körniger) + Sandor Barinkay (Thomas Blondelle) + Ottokar (Julian Habermann) © Holger Jacobs

 

 

 

 

 

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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