Die Bücher Tipps im Juni 2020

Die Bücher Tipps im Juni 2020 © kultur24.berlin

Die Bücher Tipps im Juni 2020

 

Von Jörg Braunsdorf

27.05.2020

Kriminalromane, Krimis, Thriller, Roman Noire

Das Genre ist schillernd, hochliterarisch, spannend, politisch, mitreißend und lässt uns die Nächte schlaflos verbringen.
Und es sind natürlich Reisen, diesmal von Berlin nach Südkorea, Tokio, Chicago, Kansas, weiter nach Amsterdam (mit Zwischenstops Hamburg und Köln), bis nach Zentralfrankreich.
Die 5 vorgestellten Bücher verkörpern alle angesprochen Attribute, nur eines sind sie nicht: Trivial. Im Gegenteil!
Die Essenz der 5 Romane verdichtet sich zu einem literarischen Feuerwerk, wie es funkelnder kaum sein könnte:

Tucholsky Buchhandlung, Tucholskystr. 47, Berlin-Mitte

Young-Ha Kim, „Aufzeichnungen eines Serienmörders“, Cass Verlag
Es ist ein 150 Seiten schmales Buch und um es vorwegzunehmen, ein literarischer Glücksfall!
Byongsu Kim ist »pensionierter« Serienmörder. Er verbringt seine Zeit damit, Klassiker zu lesen und Gedichte zu schreiben. Kurz nachdem er in seinem Viertel einem Mann begegnet, den er als seinesgleichen erkennt, wird bei ihm beginnende Demenz diagnostiziert. Um seine Tochter zu beschützen, die er bedroht sieht, plant der alte Mann, mit seinem schwindenden Gedächtnis kämpfend, einen letzten Mord.
Am besten lesen Sie dieses Buch in einem Zug. Es sind kurze Kapitel. Sie entwickeln einen Rhythmus, einem musikalischen Kammerstück gleich.
Der alte Mann führt praktisch ein „Doppelleben“, gelenkt von Erinnerungen, abgelegt im Langzeitgedächtnis und der bruchstückhaften Existenz des Gedächtnisscheidenden, geschrieben in einer knappen, eleganten Sprache. Imwon Park ist die Übersetzerin dieses Textes, ihr verdanken wir ein spielerisches und lächelndes Leseerlebnis.

„Aufzeichnungen eines Serienmörders“, Young-Ha Kim © Cass Verlag

Iori Fujiwara, „Der Sonnenschirm des Terroristen“, Cass Verlag
Der zweite Roman des im thüringischen Bad Berka beheimateten Cass-Verlages.
Fujiwara soll diesen Roman geschrieben haben um Spielschulden begleichen zu können. Welch ein Unternehmen! Und es glückte!
Er erhielt einen mit 10 Mio Yen dotierten Literaturpreis, danach den Naoki-Literaturpreis, der Stoff wurde 1996 verfilmt, die Schulden wurden getilgt.
Leider verstarb der Autor im Jahre 2007.
Shimamura, Alkoholiker und Barkeeper, wird eines Bombenattentates in einem Park mitten in Tokio verdächtigt.
Die Whiskyflasche mit seinen Fingerabdrücken wird gefunden. Um seine Unschuld zu beweisen kooperiert er mit einem Yakuza.
Fortan beginnt die Reise in eine Zeitgeschichte Japans, beginnend bei den Studentenunruhen der 60er Jahre mit einem erzählerischen Spannungsbogen bis heute.
Literarisch, Politisch, Spannend – nichts fehlt!

„Der Sonnenschirm des Terroristen“, Iori Fujiwara © Cass Verlag

Sara Paretsky, „Altlasten“, ariadne im Argument Verlag
Mein Buchhändlerleben begann 1980 und kurz danach erschien V.I. Warshawski, Privatermittlerin in Chicago, erzählt von Sara Paretsky.
Sie ist die Begründerin von „Sisters in Crime“; eine Autorin, die vor 40 Jahren einen spannenden und politischen Krimi nach dem anderen schrieb.
Und jetzt ist sie wieder da!
„Altlasten“ erzählt auf 530 Seiten virtuos und authentisch vom „amerikanischen Traum“, vom ewigen Rassismus, konzentriert in einer Kleinstadt in Kansas.
Literarisch subkutan träufelt sie Wirklichkeiten in unser lesendes Bewusstsein. Und schafft es auf wenigen Seiten gesellschaftliche Hierarchien auf den Kopf zu stellen.
Es geht um Geld und Staat, klerikale und weltliche Hierarchien und die große Verlogenheit. Die USA verstehen, von Reagan bis Trump im Weißen Haus, permanente Bilder, Aktionen und Provokationen.
Paretsky holt den Hardboiled-Krimi aus den Tiefen des Macho-Terrains heraus. Und es ist Spannend. Versprochen!

„Altlasten“, Sara Paretsky © ariadne im Argument Verlag

Jerome Leroy, „Der Schutzengel“, Edition Nautilus
Der dritte Roman des Autors in deutscher Übersetzung. Und was für einer!
Zum Inhalt: Berthet soll getötet werden. Das ist eine ziemlich schlechte Idee. Berthet ist Agent der Unité, einer geheimen Parallelpolizei, er ist in Ungnade gefallen. Aber, er beschützt eine junge Staatssekretärin, Kardiatou Diop.
Diop ist Bürgermeisterkandidatin und Gegnerin der Chefin des rechtsradikalen Patriotischen Blocks in einer Gemeinde in Zentralfrankreich.
Berthet ist ein sympathischer, linksliberal verorteter Geheimdienstler, der seine persönliche Motivation (hier dem alten Serienmörder in „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ nahe, s.o.) aus lyrischen Texten speist.
Gibt es das? Den sympathischen Mann fürs Grobe?
Der Thriller erzählt das machtpolitische Roulette im französischen Zentralismus. Ähnlich wie in der amerikanischen Geschichte in Paretskys Krimi „Altlasten“ wird klar, Zeitgeschichte gibt es nicht zum Nulltarif.
In Deutschland blinkt der Skandal um den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen um die Ecke, der seit seinem erzwungenen Rücktritt versucht die extreme politische Rechte zu stärken.
Romane wie „Der Schutzengel“ erzählen, was in den letzten 40 Jahren in Europa geschehen ist, dass aktuelle Entwicklungen nicht einfach vom Baum fallen.

„Der Schutzengel“, Jerome Leroy © Edition Nautilus

Frank Göhre, „Verdammte Liebe Amsterdam“, CULTURBOOKS
Der Autor Göhre pendelt literarisch zwischen Ruhrgebiet, Hamburg und der Schweiz. Schweiz, weil er die Kriminalromane des (in Österreich geborenen) Schweizers Friedrich Glauser, der als Urvater des deutschen Krimis gilt, herausgegeben und dafür die geniale Figur des Wachtmeisters Studer erfunden hat.
Ich persönlich habe Göhre Ende der 90er in Hamburg kennengelernt und mir die Stadt mit seiner legendären St.Pauli-Trilogie erlesen. Die Realität, die ich erlebte, beschrieb er in den Charakteren seiner Romane.
Und jetzt „Verdammte Liebe Amsterdam“. Ein klassischer Roman Noir, ein Roadmovie zwischen Hamburg, Köln und Amsterdam. Die Geschichte zweier Brüder, der eine Tod, der andere will verstehen, was passiert ist. Ein Psychospiel, eine Kulturgeschichte und auch hier die Frage: gibt es das Gute im Bösen oder umgekehrt?
Die Erzählung ist klassisch, weil ein Leben klassisch ist, letztlich Psychologie. Also: Göhre lesen, unbedingt, Alles!

„Verdammte Liebe Amsterdam“, Frank Göhre © CULTURBOOKS

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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