EXIL von Lion Feuchtwanger im Berliner Ensemble

EXIL - Berliner Ensemble @ kultur24.berlin

EXIL von Lion Feuchtwanger im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

23.06.2022

Großartiges Theater, wunderbarer Text, tolle Sprache

Wenn ich abends so durch das Programm unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens zappe kommen mir viele Doku-Sendungen entgegen mit Titeln wie „Hitlers Architektur“, „Hitlers Geheimwaffen“,“ Hitlers Frauen“, „Hitlers Hunde“ u.s.w.

Das Interesse am Dritten Reich und Adolf Hitler scheint ungebrochen.
Klar, er war der bekannteste Massenmörder der Geschichte der Menschheit (obwohl er wohl nie in seinem Leben einen Menschen mit eigenen Händen umgebracht hat). Allein 60 Millionen Tote im 2. Weltkrieg, davon 6 Millionen Juden im Holocaust, gehen auf sein Konto.  Schlimmer geht’s nicht.

Und das Interesse der Fernsehzuschauer an Verbrechen im Allgemeinen und alles was damit zusammenhängt ist immer schon sehr groß gewesen, allein wenn wir die Zahl der Krimis sehen, die jeden Tag über die Bildschirme flimmern.

Doch bei Hitler geht es um weit mehr.

Denn es ist nicht nur die schiere Zahl der Toten, die er hinterlassen hat, sondern die gesamte Komplexität, die diese Zeit ausmachte.

Adolf Hitler, Nürnberger Reichsparteitag 1927 -cc- Wikimedia Commons

Der deutsche Autor mit jüdischen Wurzeln, Lion Feuchtwanger, war mittendrin in dieser Zeit und hat sie dokumentiert. Besonders in seinen drei Romanen „Erfolg (1930), „Die Geschwister Oppermann“ (1933) und „Exil“ (1939.
Sie werden auch gemeinhin als die „Wartesaal-Trilogie“ bezeichnet, wobei ich nicht genau herausfinden konnte, warum sie so heißen (vielleicht weiß einer meiner Leser mehr). Es muss wohl mit dem Zeitpunkt des Erscheinens zu tun haben. Als hätte Lion Feuchtwanger immer schon gewusst, was die Menschheit erwartete: Das Aufstreben der Nationalsozialisten 1930, die Machtergreifung 1933 und zuletzt den 2. Weltkrieg, der 1939 ausbrach, kurz nach Erscheinen von „Exil“.

„Exil“

In dem Roman erzählt Lion Feuchtwanger von einer Gruppe von Immigranten, die in den 1930er Jahren Deutschland verlassen mussten und sich nun im Exil in Paris befinden.

Diese Situation beschreibt Feuchtwanger anhand von einem Dutzend Personen, die alle auf verschiedenste Weise in Verbindung stehen.
Da wäre einmal Sepp Trautwein (Oliver Kraushaar), der ursprünglich aus Bayern stammt und Musiker ist.
Um einem Freund einen Gefallen zu tun, fängt Trautwein als Journalist bei der Exilantenzeitung Pariser Nachrichten an.
Seine Artikel sind aber so bissig, dass der Herausgeber Gingold (Gerrit Jansen) fürchtet Ärger zu bekommen.
Trautweins Frau Anna (Pauline Knof) arbeitet als Assistentin bei dem aus Deutschland geflüchteten jüdischen Zahnarzt Dr. Wohlgemuth (Martin Rentzsch), der mit Schadenfreude feststellt, dass immer wieder hochrangige Nazis extra nach Paris kommen, um sich von ihm behandeln zu lassen – er ist halt der Beste. Das er sich diese Behandlungen hoch bezahlen ist, versteht sich von selbst…
Einer von diesen Nazis ist Walther von Gehrke (Peter Moltzen), auch Spitzi“ genannt. Da es ihm in Paris so gut gefällt, bleibt er noch ein Weilchen an der Seine, was wiederum bei den Immigranten für einige Unruhe sorgt.

Eine weitere wichtige Person ist Erich Wiesener (Marc Oliver Schulze), offiziell Auslandskorrespondent der Nazis in Frankreich. Er ist aber schon lange mit der Halb-Jüdin Lea de Chassefiere (Constanze Becker) liiert. Und sie haben sogar einen gemeinsamen Sohn (Paul Zichner).
In der Person des Wiesener spiegelt sich die Ambiguität des Nazi-Regimes wieder, aber auch die gespaltene Seele vieler Deutscher dieser Zeit, die von Hitlers Ideen geblendet sind und trotzdem noch ganz normale menschliche Gefühle haben.
Nach außen hin jederzeit bereit die Nazi-Gesinnung auf das Äußerste zu verteidigen, aber immer nachdenklicher werden, sobald es stiller wird.
Am Ende nimmt sich Anna Trautwein das Leben und Sepp Trautwein kann endlich seine Musik aufführen.
Das Leben muss ja irgendwie weitergehen.

Adolf Hitler in Paris Juni 1940 -cc- Wikimedia Commons

Kritik

Der belgische Theaterregisseur Luk Perceval (*1957) ist einer der ganz Großen seines Fachs.
Gleich seine erste Inszenierung „Schlachten“ in Deutschland im Jahre 1999 im Hamburger Schauspielhaus wurde ein großer Erfolg. Parallel wurde das Stück noch auf den Salzburger Festspielen gezeigt und danach zum Berliner Theatertreffen (die besten Stücke des deutschsprachigen Raumes) eingeladen.
Für „Jeder stirbt für sich allein“ nach Hans Fallada im Jahre 2012 am Thalia Theater in Hamburg bekam er den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ für Regie und Bühnenbild.

Paris 1865 -cc- Wikimedia Commons

Auch Luk Percevals Inszenierung von „Exil“ ist großartig!

Ein karges Bühnenbild (Annette Kurz) zeigt viele übereinandergestapelte Stühle, die sich zu einem Eiffelturm formen.
Davor stehen, laufen, oder krabbeln die Protagonisten des Stücks. Bei einem Szenenwechsel bleiben sie abrupt stehen, als hätte jemand wie beim Film die Stopp-Taste gedrückt.
Und manchmal bewegen sie sich wie in Zeitlupe.
Diejenigen, die in einer Szene vorkommen, treten nach vorne und beginnen ihr Spiel. Über drei Stunden wabert ein leichter Nebel über die Bühne, die Beleuchtung bleibt immer konstant.

„EXIL“, Berliner Ensemble, Photo: Jörg Brüggemann

Getragen wird der Abend durch die herausragende Leistung von Oliver Kraushaar (*1973) als Sepp Trautwein (spielt auch in dem Ein-Personenstück „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ von Dostojewski) .
Gleich zu Anfang fällt sein betont bairischer Dialekt auf, den er genüsslich und mit viel Humor von sich gibt und dabei an den bairischen Kabarettisten Gerhard Polt erinnert.
Auf diese Weise kommen trotz der dramatischen Situation der Immigranten (einer der Journalisten der Pariser Nachrichten wird von Nazis entführt) immer wieder sehr komische Momente vor, die wie zufällige Slapstick-Einlagen wirken.
Und damit bekommt die Inszenierung eine gewisse Leichtigkeit, die ich sonst nur aus französischen Produktionen kenne.
Ganz wunderbar auch der Originaltext und die Sprache Feuchtwangers.
Wann hören wir heute noch Originaltexte im Theater? Wo doch jedes zweite Stück nicht mehr „von“, sondern nur noch „nach“ einem berühmten Autoren benannt wird.
Auch hier gab es natürlich eine Adaption an die Bühne (Luk Perceval und Sybylle Baschung), die aber sehr gekonnt und original klingt.

Fazit:

Ein ganz herrlicher Theaterabend, auch wenn es am Ende etwas lang wird. Der Sterbe-Monolog von Anna Trautmann hätte kürzer ausfallen können. Und der schnelle Rhythmus vom Anfang des Abends geht am Schluss verloren.
Aber alles in allem dringend zu empfehlen!

„EXIL“ von Lion Feuchtwanger in einer Bearbeitung von Luk Perceval und Sibylle Baschung
Premiere war am 10.09.2022 im Berliner Ensemble
Regie: Luk Perceval, Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Ilse Vandenbussche, Musik: Rainer Süßmilch
Mit: Oliver Kraushaar (Sepp Trautwein), Pauline Knof (Anna Trautwein), Jonathan Kempf (Hanns Trautwein), Lili Epply (Erna Redlich), Peter Moltzen (Walther von Gehrke), Marc Oliver Schulze (Erich Wiesener), Constanze Becker (Lea de Chassefiere), Paul Zichner (Raul de Chassefiere), Luana Velis (Maria Hegner), Martin Rentzsch (Dr.Wohlgemuth), Gerrit Jansen (Louis Gingold).

Bilderserie mit 6 Fotos der Produktion „Exil“:

Constanze Becker (Lea), Marc Oliver Schulze (Erich), „EXIL“ von Lion Feuchtwanger, Berliner Ensemble, Photo: Jörg Brüggemann

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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