FABIAN oder der Gang vor die Hunde im Berliner Ensemble

FABIAN - Berliner Ensemble - Frank Castorf © Holger Jacobs/ kultur24berlin

FABIAN oder der Gang vor die Hunde im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

20.06.2021

Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)

Frank Castorf zelebriert seinen Stil bei der Inszenierung von „FABIAN“ am Berliner Ensemble in einem wilden Rausch aus Schreien, Blut und ein bisschen Moulin Rouge.

Wo Castorf drauf steht ist Castorf drin – davon kann man ausgehen, wenn er für eine Inszenierung eingeladen wird.
Dieses Mal holte ihn Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles.
Frank Castorf hatte 22 Jahren lang (bis zum Jahre 2017) die Volksbühne Berlin geleitet und wird seitdem als freier Regisseur immer wieder gebucht.
Wobei man jedes Mal ganz bewusst genau seinen Stil möchte.

Dies hatte sich wohl auch Oliver Reese gedacht, als er Castorf engagierte, um ihn die wilden 20 Jahre in Berlin interpretieren zu lassen.

Die Ausstattung ist so simpel wie genial: auf einer Drehbühne bewegt sich ein viereckiger hoher Kasten, der mehrere Räume beinhaltet, manche nach außen sichtbar, manche nicht (diese Szenen werden dann per Videobild dem Zuschauer auf einer Leinwand gezeigt).

„FABIAN“ am Berliner Ensemble © Holger Jacobs| kultur24.berlin

Gleich zu Anfang stürmen zwei Männer auf die Bühne, halb im Delirium.
Es sind Fabian (Marc Hosemann) und sein Freund Labude (Andreas Döhler). Sie sprechen ziemlich originalgetreu den Text aus dem Roman „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ von Erich Kästner. Es geht um ihr wildes Leben im Berlin der 20er Jahre, welches bestimmt wird durch orgiastische Abende in halbseidenen Etablissements und ein Dasein ohne genaue Bestimmung oder vorbestimmte Ziele.

Marc Hosemann (Fabian) und Andreas Döhler (Labude) , „FABIAN“ am Berliner Ensemble © Holger Jacobs| kultur24.berlin

Besonderes Kennzeichen dieser Epoche: Die Moral geht vor die Hunde!

Fabian ist ein Moralist, der zwar das zügellose Leben in der Zeit der Weimarer Republik mitmacht, aber genauso auch von ihr abgestoßen ist.
Er ist ein Beobachter, der seinen Frust im Zynismus auslebt. Nur zu seinem Freund Labude hat er eine enge, stabile Freundschaft.
Die Welt der Weiblichkeit sieht er nur als verdorben an.

Das ändert sich, als er Cornelia (Margarita Breitkreiz) kennenlernt. In sie verliebt er sich wirklich. Doch auch sie ist in erster Linie an ihrem eigenen Weiterkommen interessiert und steigt mit einem Filmproduzenten ins Bett, der ihr eine Rolle verspricht.

Gleichzeitig verliert Fabian seine Anstellung als Werbetexter in einer Werbeagentur und muss nun sehen, wie er finanziell über die Runden kommt.

Als sein Freund Labude Suizid begeht, weil seine Doktorarbeit abgelehnt wurde, ist für Fabian das Maß voll. Er geht wieder zurück zu seinen Eltern nach Dresden, wo er beim Versuch, einen Jungen vorm Ertrinken zu retten, stirbt.
Fabian konnte nicht schwimmen…

Frank Castorfs Inszenierung ist eine Mischung aus diesem Originalroman, wie aber auch sein eigenes Stück. Es wird geschrien, gevögelt, sich am Boden gewälzt, sich ausgezogen und lasziv getanzt. Und ständig wummert dem Zuschauer eine laute Klangkulisse entgegen.
Da ich das Stück schon bei der Probe gesehen hatte, habe ich mir beim Premierenabend vorsichtshalber Ohropax mitgebracht, die mir in der fünften Reihe gute Dienste leisteten…

Andreas Döhler (Labude), „FABIAN“ am Berliner Ensemble © Holger Jacobs| kultur24.berlin

Die weiblichen Darstellerinnen kommen bei Castorf weniger gut weg.
Sie müssen sich mit Blut beschmieren, in dünnen Negligées rumlaufen und Fratzen ziehen. Mit in das Spiel gebracht werden zwei Striptease-Tänzerinnen, wobei die eine (Clara de Pin) in einem Outfit vom Moulin Rouge sogar einen (in französisch gesungenen) Chanson-Auftritt hat, der sie, ganz Striptease-Lokal, bis in die ersten Zuschauerränge bringt.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb in ihrer Rezension süffisant, dass #MeToo Kampagnen und andere Emanzipationswellen an Castorf spurlos vorüberziehen und das es fast egal ist,
„…welches Werk der Weltliteratur dem Castorf-Theater gerade zum Fraß vorgeworfen wird -, seine verlebten Lebemänner und High-Heels-Schlampen in Flitterfetzen werden sich auf immer und ewig in ihren Kaschemmen, Lotterbetten und Stadtlandschaften unter Filmplakaten und Neonschriften abschießen“
(SZ vom 13. Juni 2021)

Sina Martens, „FABIAN“ am Berliner Ensemble © Holger Jacobs| kultur24.berlin

Fazit:

Sehr gut gefallen hat mir Andreas Döhler als LABUDE, mit ausdrucksstarker Mimik und prägnanter Sprache.
Weniger gefallen hat mir Marc Hosemann als FABIAN. Er ist für die Rolle zu alt und wirkt in keinster Weise wie der Fabian aus dem Roman.
Erst Recht, wenn man gerade, so wie ich, die neuste Verfilmung des „FABIAN“ mit dem fabelhaften Tom Schilling in der Hauptrolle gesehen hat (kultur24 berichete).

Zum Schilling in „Fabian“ Verfilmung von Dominik Graf, Foto: Hanno Lentz © Lupa Film

Diesen Film, im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Berlin gelaufen, kann ich nur jedem empfehlen (ab 1. Juli 2021 machen alle Kinos in Deutschland wieder auf!).

Die Theateradaption am Berliner Ensemble kann ich dagegen nur eingefleischten Castorf-Fans empfehlen, zu exaltiert wird hier mit der Romanvorlage umgegangen.

„FABIAN oder der Gang vor die Hunde“ von Erich Kästner
Premiere am 12. Juni 2021
BERLINER ENSEMBLE
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin

Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksandar Denic, Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Mit: Andreas Döhler, Marc Hosemann, Sina Martens, Margarita Breitkreiz

Meine Bilderserie mit 24 Fotos der Aufführung:

Sina Martens, Clara de Pin, „FABIAN“ am Berliner Ensemble © Holger Jacobs| kultur24.berlin

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.