Fünf spannende Bücher für den Monat Oktober

Die Bücher Tipps im Oktober 2021 © kultur24berlin

Fünf spannende Bücher für den Monat Oktober

 

Von Jörg Braunsdorf

06.10.2021

Und wieder stellt Buchhändler Jörg Braunsdorf aus Berlin-Mitte seine Favoriten für diesen Monat vor (Anm. d. Red.)

Tucholsky Buchhandlung

Tucholsky-Buchhandlung, Berlin-Mitte © Tucholsky Buchhandlung

 

„Die Schwimmerin“, Theodor Wolff, Weidle Verlag
Theodor Wolff war von 1906 bis 1933 Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«.
Noch heute erinnert der Theodor-Wolff-Preis, der wichtigste deutsche Journalistenpreis, an ihn.
Im Weidle Verlag erschien im letzten Jahr der großartige Roman „Hintergrund für Liebe“ von Helen Wolff.
Nun legt der Verlag mit „Die Schwimmerin“ einen weiteren wichtigen zeitgeschichtlichen Roman vor, der erstmals 1937 im Schweizer Oprecht Verlag erschien.
Theodor Wolff lebte da schon seit 3 Jahren im südfranzösischen Exil in Frankreich.
Der Untertitel des Buches lautet Roman aus der Gegenwart, mir erschien es bei der Lektüre als Zweiklang.
Einerseits eine wehmütige Liebesgeschichte zwischen dem älteren liberalen Hedonisten Ulrich Faber und der sehr jungen Gerda Rohr, Widerstandskämpferin gegen die Nazis.
Andererseits eine Erzählung, die fast eine Folie für heute aktuelle poltische Entwicklungen anbietet. Stichworte dafür sind u.a. Weltökonomie, Prosperity, Afghanistan, Rüstungsindustrie, Religion.
Theodor Wolffs Sprache, seine Darstellung der beiden wichtigsten Personen, ist eigenwillig und interessant. Starke Stimmungen zogen mich beim Lesen in den Bann.
Und plötzlich las ich das Buch als Berliner Reisebuch für Flaneure. Das wunderschöne Cover der Originalausgabe, neu gestaltet von Kat Menschik, und ein kluges Nachwort von Ute Kröger runden das Leseerlebnis optisch und inhaltlich ab.

Die Schwimmerin

„Die Schwimmerin“ von Theodor Wolff © Weidle Verlag

 

„Eine Privatsache“, Beppe Fenoglio, Wagenbach Verlag
„Ich war von Anfang an begeistert …“ schrieb der Autor an seinen Verleger, nachdem er mit der Arbeit an seinem neuen Buch begonnen hatte (aus dem Nachwort von Francesca Melandri).
Beppe Fenoglio erzählt die Geschichte des Partisanen Milton, dessen Widerstanderlebnisse gegen Nationalsozialisten und italienische Faschisten durch die quälende Frage, ob seine Geliebte Fulia ein Verhältnis mit seinem besten Freund und Genossen Giorgio hatte, auf den Kopf gestellt werden. Kriegswahnsinn und Liebesschmerz, politischer Idealismus und private Verzweiflung steigern sich in der Handlung in geradezu groteskem Ausmaß.
Der Faszination und Widersprüchlichkeit der italienischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, ob sie sich im Film, in der Kunst oder in der literarischen Darstellung widerspiegelt, wird mit dieser Geschichte ein erzählerisches und psychologisches Denkmal gesetzt.
Die persönlichen Betroffenheiten, die Sehnsucht nach einem neuen antifaschistischen Italien, legitimiert auch durch die Resistenza, werden in ihren zeitgeschichtlichen Schritten differenziert.
Unmittelbar nach Kriegsende wäre ein solch persönlicher Text noch auf Unverständnis gestoßen.
Italienbegeisterte Leserinnen und Leser werden diesen Roman verschlingen, dessen großartiges Nachwort von Melandri einige weitere „Geheimnisse“ der literarischen Rezeption dieses Romans anbietet.

Eine Privatsache

„Eine Privatsache“ von Beppe Fenoglio © Wagenbach Verlag

 

„Der schöne Deutsche“, Jens Nordalm, Rowohlt Verlag
Das Leben des Gottfried von Cramm lautet der Untertitel der Biographie, die gleichzeitig ein spannendes Kapitel deutscher und Berliner Kulturgeschichte erzählt.
Gottfried von Cramm war eine Tennislegende, dessen sportliche Karriere, beginnend in den 20er Jahren, 1955 endete.
Es geht hier aber nicht um Siege und Tennistechniken. Es geht um einen eleganten Sportler, dessen Talent und Persönlichkeit neben dem Tennisplatz geradezu sinnbildlich für das Deutschland der 20er und 30er-Jahre steht.
Der Attribute wie Fairness, diplomatisches Auftreten, Zurückhaltung, gesellschaftliche und persönliche Freiheit, Toleranz und Internationalität verkörperte.
Dessen Leben die immer wieder beschriebenen „goldenen 20er und 30er Jahre“ in Berlin verkörperte, der Frauen und Männer liebte.
Kein Wunder, dass er von der Gestapo verfolgt und verhaftet wurde.
Ich habe dieses Buch mit einer Portion Melancholie gelesen, erzählt es doch auch von der gnadenlosen destruktiven Gewalt, mit der autoritäre Bewegungen und Systeme den Freiheitsgedanken zerstören.
Der hässliche Deutsche hat Angst vor dem guten Deutschen und aus der persönlichen und kollektiven Angst wächst, was Wilhelm Reich die Massenpsychologie des Faschismus nannte.
Eine wohltuend ruhig erzählte Geschichte, ein schön gestaltetes Buch, eine großartige Fotoauswahl. Stimmig!

Der schöne Deutsche

„Der schöne Deutsch“ von Jens Nordalm © Rowohlt Verlag

 

Halder, Max Bronski, Edition Nautilus
Krimis beschreiben die gesellschaftliche Realität spannend, werden (wenn sie gut sind) dynamisch erzählt und erzeugen einen psychologischen Sog.
Das wusste zu Lebzeiten schon der Nestor der DDR-Wirtschaftshistorie, Jürgen Kuczynski.
Ihm, dem Krimi-fan, hätte das Buch von Max Bronski, Psyeudonym des Autors Franz-Maria Sonner, sicher gefallen.
Das Buch gleicht einem Kammerbühnenstück.
Zentraler Ort ist der Rücksitz des Dienstwagens von Kurt Halder, Verfassungsschutzpräsident, auf dem Weg von Köln nach München um an einer Soko-Sitzung teilzunehmen.
Die Täter scheinen Linksradikale zu sein, möglicherweise könnte er zugleich alte RAF-Sympathisanten belasten.
Da schadet es nicht, rechtsradikale Polizisten einzuspannen.
Das kleine Kammerspiel erzählt, wie eine jahrzehntealte Legende politischer rechter Ideologie den Ordnungsrahmen des Verfassungsschutzes definiert. Grotesk zugespitzt in selbstmitleidigen Erinnerungsfetzen einer längst vergessenen punktuell freiheitlichen Jugend, der der alte Verfassungsschützer hinterhertrauert.
Gibt es ein reales Vorbild für Halder? Es wäre nicht zufällig.

Halder

„HALDER“ von Max Bronski © Edition Nautilus

 

Revolver Christi, Anna Albinus, edition fotoTAPETA Verlag
Diese Novelle erzählt in 78 Seiten eine wunderliche Geschichte: Eine Schusswaffe als Reliquie.
Im Sommer 2018 zieht die alle zehn Jahre stattfindende Wallfahrt zum Revolver Christi so viele Besucher an wie nie zuvor.
Ausgestellt ist neben der Reliquie in der Kathedrale auch eine der drei erhaltenen Ikonen des Christus an der Waffe.
110 Jahre nach dem Tod eines Elektrikerlehrlings, den man mit einem Kopfschuss aus dem Revolver Christi getötet auf den Stufen des Chorraums auffand, fällt in der Kathedrale erneut ein Schuss…
Unleugbar, die Kriminalgeschichte der Religion, Umgang mit kolonialem Erbe, Ikonenverehrung, museale Inszenierungen, Raubkunstdebatten.
Gerade im Berlin des fertiggestellten Humboldt-Forums (Berliner Schloß) ist das Buch eine Provokation. Diese kleine, große Erzählung spielt mit den Genres, läßt Platz für Interpretationen und Mutmaßungen, deutet einen kriminellen Plot an, läßt einen Kriminalkommissar ermitteln und treibt ein erzählerisches Spiel auf die Spitze.
Voller Freude kam ich bei der Lektüre dieser Novelle aus dem Grummeln aber auch Schmunzeln nicht heraus.

Revolver Christi

„Revolver Christi“ von Anna Albinus © fotoTAPETA Verlag

 

Jörg Braunsdorf
Tucholsky Buchhandlung
Tucholskystr. 47
10117 Berlin
030/27577663
kurt@buchhandlung-tucholsky.de

 

 

 

Author: Jörg Braunsdorf

Jörg Braunsdorf ist Inhaber der 2010 gegründeten Tucholsky-Buchhandlung in der Tucholskystraße 47 in Berlin-Mitte.
Auszeichnungen: 4-maliger Gewinner des Deutschen Buchhandlungspreises, zuletzt für das Jahr 2020

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