Orpheus in der Unterwelt in der Komischen Oper

Orpheus in der Unterwelt - Komische Oper - Photo: Holger Jacobs

Orpheus in der Unterwelt in der Komischen Oper

 

Von Holger Jacobs

Holger Jacobs

08.12.2021

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 (fünf von fünf)

English text

Sex, Gender und French CanCan – das Meisterstück des Regisseurs Barrie Kosky.

Seit acht Jahren verfolge ich nun die Berliner Kultur und besonders deren Opernszene Dank meines Kulturmagazins kultur24 und muss feststellen, dass die gestrige Premiere von „ORPHEUS IN DER UNTERWELT“ an der Komischen Oper zweifellos zu den Höhepunkten dieser letzten Jahre zählt.

Die Inszenierung von „Orpheus in der Unterwelt“ hat Schwung, Sex, Rhythmus, Witz, tolle Sängerinnen und Sänger, tolle Kostüme, tolles Bühnenbild und eine herausragende Tanzkompanie mit einer feurigen Choreographie.

Begonnen hatte diese Produktion vor zwei Jahren in Österreich, als die Leitung der Salzburger Festspiele den Regisseur und Intendanten der Komischen Oper, Barrie Kosky bat, zum 200. Geburtstag von Jacques Offenbach dessen Operette „Orpheus in der Unterwelt“ von 1858 zu inszenieren.

Eine absolute Besonderheit für die ehrenwerten Salzburger Festspiele, denn noch nie wurde eine Operette dort aufgeführt. Nur die „ernsthafte“ Opernmusik mit ihren großen Dramen sind dort üblicherweise zu hören.

Barrie Kosky nahm dies zum Anlass, nun erst Recht ein Feuerwerk an Komik und Persiflage zu entzünden, einschließlich einer gehörigen Portion Sex und Erotik mit Gender-gemischten Charakterdarstellungen.

Orpheus in der Unterwelt, photo: Andreas Wilcke

Eurydike (Sydney Mancasola) und Pluto (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), „Orpheus in der Unterwelt“, Photo: Andreas Wilcke

Die Handlung:

Die Figur des Orpheus stammt aus der griechischen Mythologie (um 1000 v.Chr.). Er ist der Sohn der Muse Kalliope und dem Gott der Musik, Apollon. Orpheus besondere Gabe ist sein Gesang, der selbst Steine zum Erweichen bringt. Er gilt damit als Ursprung der berauschenden Musik und Vorbild der Gesangskunst.
Der Sage nach versucht eines Tages der Halbgott Aristaios, Imker und Schäfer, die Ehefrau des Orpheus, Eurydike, zu vergewaltigen. Auf ihrer Flucht vor Aristaios tritt sie auf eine Schlange und wird tödlich gebissen und landet im Hades. Orpheus steigt daraufhin in die Unterwelt, um Eurydike zurückzuholen. Durch seinen Gesang kann Orpheus den Gott der Unterwelt dazu bewegen, Eurydike zurückzugeben.
Unter einer Bedingung: Auf dem Weg aus dem Hades darf Orpheus nicht auf die hinter ihm gehende Eurydike zurückblicken. Als er ihre Schritte jedoch nicht hören kann, sieht er sich dennoch um und Eurydike verschwindet für immer.

Jacques Offenbachs „Orpheus“

Der göttlichen Gesangskunst von Orpheus ist es wohl zu verdanken, dass sich bis heute immer wieder Komponisten dieses Themas angenommen haben. Wikipedia zählt hier allein 50 Musikwerke seit dem 17. Jahrhundert auf.
Einer der ersten war der italienische Komponist Claudio Monteverdi, der mit „l’Orfeo“ im Jahre 1607 gleichsam die Urform der Oper erschuf.

Jacques Offenbach (eigentlich Jakob Offenbach), 1819 in Köln geboren, ging bereits als Musikschüler im Alter von 14 Jahren nach Paris und blieb dort, mit kurzen Unterbrechungen, bis zu seinem Lebensende. Mit seinen Kompositionen in Form der Opera Buffa, der aus Italien stammenden „komischen“ Oper, wurde er schließlich selbst über die Grenzen Frankreichs hinweg berühmt.
Im Gegensatz zur Opera Seria handelt es sich bei der Opera Buffa um lustige und satirische Themen, die als Amüsement für das einfache Volk gedacht waren. Jacques Offenbach schaffte es aber, daraus eine ganz neue Kunstform zu kreieren, die in allen Pariser Gesellschaftsschichten Anerkennung fand.

Sein absolutes Meisterstück wurde Jacques Offenbachs Werk „Orpheus in der Unterwelt“ (Orphée aux enfers), uraufgeführt 1858 in dem von ihm selbst gegründeten Théatre des Bouffes-Parisiennes (existiert bis heute in der 4, Rue Monsigny, 75002 Paris). Das Stück wurde sofort zu einem großen Erfolg. In der ersten Saison wurde es allein 227 Mal hintereinander gespielt!

Jacques Offenbach änderte die Geschichte um die Sage des Orpheus entscheidend um. Für ihn war nicht mehr Orpheus selbst interessant, sondern vielmehr seine Ehefrau Eurydike und deren Schicksal. Überhaupt wird die gesamte Oper aus Sicht der Frau erzählt, wobei sie nicht als armes missbrauchtes Wesen, sondern als selbst-bestimmter und bestimmender Charakter dargestellt wird.
Bei Offenbach entscheidet Eurydike sich selbst für den Schäfer Aristaios (und damit für Pluto) als ihren Liebhaber, weil Ehemann Orpheus ihr zu langweilig geworden war. Und sein ständiges „Gefiedel“ auf der Geige geht ihr erst Recht auf die Nerven.
Als sich dann Aristaios als der Herr der Unterwelt, Pluto, entpuppt, nimmt sie das eher als spannende Herausforderung. Denn in Offenbachs Unterwelt ist es keineswegs triste und gräulich, sondern voller Fantasie und Ausgelassenheit. Die ständigen Partys gipfeln am Schluss in dem berühmten Cancan, einem Höllentanz, den Offenbach selbst als „Galop Infernal“ bezeichnete.

Mein Video-Trailer auf kultur24 TV von „Orpheus in der Unterwelt“ mit dem berühmten Cancan:

Barrie Koskys Inszenierung

Nach eigener Aussage gehört Jacques Offenbach zu Barrie Koskys absolutem Lieblingskomponisten. Aus mehreren Gründen.
Beide vereint eine jüdische Herkunft und die Liebe zum heiteren Spiel. Des weiteren mögen beide das burlesque hafte, ausschweifende Bühnenspektakel mit viel Erotik und allerhand satirischen Anspielungen auf Gesellschaft und Moral.

Barrie Kosky fügt dem einen weiteren Aspekt hinzu:
Das Spiel mit den Geschlechterrollen.
Kosky liebt es Frauen in Männerrollen und umgekehrt zu zeigen. In dieser Inszenierung sind es die Tänzerinnen und Tänzer, die von Maske, Perücke und Kostüm gendermäßig nicht mehr zu unterscheiden sind. Höhepunkt ist der Schluss, als sich die weiblichen Tänzerinnen beim Cancan unter ihren großen Reifröcken einen Penis und die männlichen Tänzer eine Vagina auf der Stelle ihres Geschlechts kleben. Selbst bei der super-weiblichen Eurydike (Sydney Mancasola) hängt in der Schlusssequenz ein riesiges männliches Geschlecht zwischen ihren Beinen.

Doch der größte Erfolg verdankt diese Inszenierung einer wirklich genialen Idee des Meisters:
Hans (oder wie hier „John“ genannt) Styx, dem eigentlich von Offenbach nur eine kleine Nebenrolle als Diener des Pluto zugedacht wurde, wird bei Kosky zur Hauptperson: Er kommentiert in der Manier eines Bauchredners die Handlungen der Hauptpersonen und spricht auch alle ihre Texte, jeweils in einer anderen Tonlage.
Das Knarren von Türen, das Schlurfen über den Boden, das Hinsetzen auf ein Kissen oder das Seufzen einer Protagonistin – alles kommt als „zing“, „zang“, „bumm“, „peng“ aus dem Mund des Schauspielers Max Hopp.
Einfach zum Niederknien!

Zu den wunderbaren Sängern, Darstellern und Schauspielern dieser Produktion wäre zu sagen, dass jede und jeder einfach perfekt zu ihren jeweiligen Rollen passen und es entsprechend spielen/ singen (besonders Sydney Mancasola als Eurydike).
Mal wieder zeigt sich, dass die Schauspielführung zu den großen Stärken von Barrie Kosky gehört. Jeder auf der Bühne überzeugt dadurch nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch.
Somit ist bei Barrie Kosky jedes MUSIK-THEATER in seinen beiden Disziplinen „at it’s best“!

Am Premierenabend (Standing Ovations) kam Regisseur Barrie Kosky am Schluss noch einmal selbst auf die Bühne und sprach allen Beteiligten für ihre wunderbare Darbietung seinen Dank aus und erzählte kleine Anekdoten  aus der Produktionszeit.

Fazit: Ein spannender, mitreißender Abend, den keiner so schnell vergessen wird!

„ORPHEUS IN DER UNTERWELT“ von Jacques Offenbach
Komische Oper Berlin
Premiere war am 07.12.2021
Musikalische Leitung: Adrien Perruchon, Inszenierung: Barrie Kosky.
Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüme: Victoria Behr, Choreographie: Otto Pichler.
Mit: Hansel Akzeybek, Sydney Mancasola, Hagen Matzeit, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Max Hopp, Peter Boarding, Karolina Gumos, Maria Ziselier, Alma Sade.

Bilderserie mit 30 Fotos von „Orpheus“:

Eurydike (Sydney Mancasola) und Pluto (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), „Orpheus in der Unterwelt“, Photo: Holger Jacobs

 

English text

Orpheus in the underworld in the Komische Oper Berlin

 

By Holger Jacobs

Holger Jacobs
December 8th, 2021

Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 (five out of five)

Sex, gender and French CanCan – the masterpiece of director Barrie Kosky.

Since eight years now I have been following Berlin culture and especially its opera scene thanks to my culture magazine kultur24 and I have to say that yesterday’s premiere of “ORPHEUS IN DER UNTERWELT” at the Komische Oper is undoubtedly one of the highlights of these last years.
The staging of „Orpheus in the Underworld“ has swing, sex, rhythm, humor, great singers, great costumes, great stage design and an outstanding dance company with a fiery choreography.
This production began two years ago in Austria when the management of the Salzburg Festival asked the director and artistic director of the Komische Oper, Barrie Kosky, to stage Jacques Offenbach’s operetta „Orpheus in der Unterwelt“ from 1858 on the 200th birthday of Jacques Offenbach.
An absolute specialty for the honorable Salzburg Festival, because an operetta has never been performed there. Only the “serious” opera music with its great dramas can usually be heard there.
Barrie Kosky took this as an opportunity to ignite a firework of comedy and parody, including a good portion of sex and eroticism with mixed gender characters.

Orpheus in der Unterwelt, photo: Andreas Wilcke

Eurydike (Sydney Mancasola) und Pluto (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), „Orpheus in der Unterwelt“, Photo: Andreas Wilcke

The plot:

The figure of Orpheus comes from Greek mythology (around 1000 BC). He is the son of the muse Calliope and the god of music, Apollon. Orpheus‘ special gift is his singing, which even softens stones. He is therefore considered to be the origin of intoxicating music and a role model for the art of singing.
According to the legend, one day the demigod Aristaios, beekeeper and shepherd, tried to rape Orpheus‘ wife, Eurydice.
On her flight from Aristaios, she steps on a snake and is fatally bitten and ends up in the underworld of Hades.
Orpheus then goes to the underworld to bring Eurydice back. Through his song, Orpheus can induce the god of the underworld to return Eurydice. On one condition: On the way out of Hades, Orpheus is not allowed to look back on Eurydice walking behind him.
When he cannot hear her footsteps, however, he looks around anyway and Eurydice disappears forever.

Jacques Offenbach’s „Orpheus“

It is probably thanks to Orpheus‘ divine art of singing that composers have taken up this theme again and again to this day.
Wikipedia lists 50 musical works since the 17th century. One of the first was „l’Orfeo“ in 1607 by the Italian composer Claudio Monteverdi, who created for the first time the original form of opera.
Jacques Offenbach (actually Jakob Offenbach), born in Cologne in 1819, went to Paris as a music student at the age of 14 and stayed there, with brief interruptions, until the end of his life.
With his compositions in the form of the Opera Buffa, the „comic“ opera from Italy, he finally became famous even beyond the borders of France. In contrast to the Opera Seria, the Opera Buffa is about funny and satirical subjects, which were intended as amusement for the common people.
But Jacques Offenbach managed to create a completely new art form from it, which found recognition in all Parisian social classes.
His absolute masterpiece was „Orpheus in the Underworld“ (Orphée aux enfers), premiered in 1858 in the Théatre des Bouffes-Parisiennes, which he founded himself (still exists today at 4, Rue Monsigny, 75002 Paris).
This piece immediately became a huge success. In the first season alone it was played 227 times in a row!

Jacques Offenbach changed the story of the legend of Orpheus decisively.
For him, Orpheus himself was no longer interesting, but rather his wife Eurydice and her fate. With Offenbach, the entire opera is told from the woman’s point of view, whereby she is not portrayed as a poor abused being, but as a self-determined and decisive character. Eurydice decides herself in favor of the shepherd Aristaios as her lover, because her husband Orpheus had become too boring for her. And his constant “fiddle” on the violin really gets on her nerves.
When Aristaios turns out to be the lord of the underworld, Pluto, she takes it as an exciting challenge.
Because in Offenbach’s underworld it is by no means dreary and gray, but full of fantasy and exuberance.
The constant parties culminate at the end with the famous Cancan, a hell dance that Offenbach himself referred to as the “Galop Infernal”.

My video-trailer of „Orpheus“ with the famous Cancan:

Barrie Kosky’s staging

According to his own statement, Jacques Offenbach is one of Barrie Kosky’s absolute favorite composers.
For many reasons. Both are united by a Jewish origin and a love of cheerful play.
Furthermore, both like the burlesque, extravagant stage spectacle with a lot of eroticism and all kinds of satirical allusions to society and morality.
Barrie Kosky adds another aspect: playing with gender roles. Kosky loves to show women in male roles and vice versa.
In this staging, it is the dancers who can no longer be distinguished by gender from mask, wig and costume.
The climax is the end when the female dancers glued a penis under their large hoop skirts and the male dancers a vagina at the place of their sex during the Cancan.
Even with the super-feminin Eurydice (Sydney Mancasola), a huge male sex hangs between her legs in the final sequence.

But this production owes its greatest success to a really ingenious idea of ​​the master:
Hans (or as here called „John“) Styx, who was actually only given a minor role as servant of Pluto by Offenbach, becomes the main character in Kosky’s production:
He comments in the manner of a ventriloquist the actions of all main characters and also speaks all of their texts, each in a different tone.
The creaking of doors, the shuffling across the floor, sitting down on a pillow or the sighing of a protagonist – everything comes as „zing“, „zang“, „boom“, „bang“ from the mouth of the actor Max Hopp. Simply genius!
To the wonderful singers, performers and actors of this production I would say that each and every one of them simply fits their respective roles perfectly and plays / sings it accordingly.
Once again it is clear that acting is one of Barrie Kosky’s great strengths.
Everyone on stage is convincing not only vocally, but also in terms of their performance. With Barrie Kosky every MUSIC – THEATER is „at it’s best“ in its two disciplines!

At the end of the premiere evening (standing ovations), director Barrie Kosky came on stage and thanked everyone involved for their wonderful performance and told little anecdotes from the production time.
Conclusion: An exciting, thrilling evening that nobody will forget!

“ORPHEUS IN DER UNDERWELT” by Jacques Offenbach
Komische Oper Berlin
Premiere was on December 7th, 2021
Musical direction: Adrien Perruchon, production: Barrie Kosky. Stage: Rufus Didwiszus, costumes: Victoria Behr, choreography: Otto Pichler.
With: Tansel Akzeybek (Orpheus), Sydney Mancasola (Eurydice), Hagen Matzeit (the public opinion), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Pluto), Max Hopp (John Styx), Peter Boarding (Jupiter), Karolina Gumos (Juno), Maria Ziselier (Diana), Alma Sade (Venus).

Picture series with 30 photos of „Orpheus“:

Orpheus in der Unterwelt, photo: Holger Jacobs

Eurydike (Sydney Mancasola) und Pluto (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke), „Orpheus in der Unterwelt“, Photo: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.