„Aufstieg und Fall…“ von René Pollesch in der Volksbühne
Von Holger Jacobs
14.08.2021
Nach vielen Skandalen hat die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz jetzt einen neuen Leiter gefunden und startet in die neue Saison mit einem Stück ihres neuen Intendanten René Pollesch.
Die Volksbühne, im Herzen von Berlin-Mitte und im Herzen des berühmt-berüchtigten Scheunenviertels (hier fanden in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Straßenschlachten zwischen den verschiedenen linken Gruppierungen und rechten Schlägern statt) hat vier schwierige Jahre hinter sich.
Zunächst verabschiedete sich (nicht ganz freiwillig) der langjährige und sehr beliebte Intendant Frank Castorf im Juli 2017.
Im September 2017 fing sein Nachfolger Chris Dercon an.
Mit zusätzlicher neuer Spielstätte im ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Was sich zunächst interessant anhörte wurde zum kompletten Reinfall.
Bei der Auswahl seiner Stücke hatte Dercon einfach kein gutes Händchen:
Es wurde getanzt, gesungen und performed, sowohl in Tempelhof wie in der Volksbühne, aber das meiste davon auf schlechtem Niveau.
Und vor allem: es wurde kaum noch Theater gespielt.
Von den vielen tollen Inszenierungen aus der Castorf-Ära hatte Dercon kein einziges übernommen, alle früheren Schauspieler wurden entlassen und auch die wunderbaren Castorf-Regisseure, wie René Pollesch und Christoph Marthaler, Leander Haußmann, Jonathan Meese und Herbert Fritsch, bekamen kein Engagement mehr.
Ergebnis: die Zuschauer blieben weg.
Als die Auslastung unter 40% fiel und das gesamte Jahresbudget schon nach der Hälfte der Zeit verbraucht war, zog die Senatsverwaltung für Kultur die Reißleine: Im April 2018, nur 7 Monate nach seinem Antritt, reichte Chris Dercon seinen Rücktritt ein.
Doch auch der Interims-Intendant Klaus Dörr musste bereits nach einem Jahr wieder gehen.
Grund: Missbrauchsvorwürfe.
Seitdem dümpelte das Theater vor sich hin.
Im Jahre 2019 wurde dann René Pollesch, langjähriger Regisseur unter Frank Castorf, als zukünftiger Intendant aus dem Hut gezaubert.
Saisonbeginn 2021 mit „Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“ von René Pollesch.
Zum Auftakt der neuen Saison ließ es sich der Intendant nicht nehmen, selbst das erste Stück auf die Bühne zu bringen.
Wer die Arbeiten von Pollesch kennt, wie zuletzt „Cry Baby“ am Deutschen Theater im Jahre 2018, weiß, dass man kein übliches Drama erwarten darf, auch keine Handlung, Logik oder verständliche Sätze.
Es wird drauf los geredet, scheinbar zusammenhanglos, über Verschiedenes räsoniert, laut Musik gespielt – nur auf das Schreien wurde dieses Mal verzichtet.
Im Großen und Ganzen geht es dieses Mal um den Vorhang der Theaterbühne, der, nachdem er zu Beginn einmal hochgezogen wurde, während des gesamten Stücks im Schnürboden des Theaters ein einsames Dasein fristet, bis er nach dem Schlussapplaus wieder heruntergefahren wird.
Aber was tut so ein Vorhang eigentlich die ganze Zeit, während er nicht zu sehen ist? Was geht in ihm vor? Ist er einsam? Spielt er vielleicht mit Kaninchen? Oder versteckt er Schauspieler?
Doch diese Vorhangs-Geschichte ist nur ein Überbau für allerlei Gerede über Tolstoi, über das Altern, über das Rauchen, über Roboter, u.s.w., u.s.w…
Dabei entwickeln sich immer wieder komische Elemente und das Publikum lacht herzlich zu den Sprüchen von Martin Wuttke, Kathrin Angerer, Susanne Bredehöft und Margarita Breitkreiz.
Überhaupt Martin Wuttke! Wie schön ist es ihn wieder in der Volksbühne erleben zu dürfen. Allein wegen ihm lohnt sich schon der Abend. Mittlerweile ist er etwas gealtert, der Schädel glattrasiert, aber immer noch mit seiner unnachahmlichen Mimik und seiner wunderbaren Stimme – ein Theatererlebnis.
Abgesehen davon würde ich das Stück aber nur für eingefleischte Pollesch-Fans empfehlen, denn Uneingeweihte könnten schreiend aus dem Saal flüchten.
Entsprechend saßen in der Vorstellung um mich herum (Bestuhlung Corona-bedingt nur im Schachbrettmuster) auch nur echte Volksbühnen-Fans, die in jeder Szene richtig mitgingen.
Die Volksbühne ist tot, es lebe die Volksbühne!
„Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen“
Buch und Regie: René Pollesch
Uraufführung am 16. September 2021,
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Mit: Kathrin Angerer, Susanne Bredehöft, Margarita Breitkreiz, Martin Wuttke
Text & Regie: René Pollesch
Bühne & Kostüme: Leonard Neumann, Licht: Frank Novak, Dramaturgie: Johanna Kobusch
Tickets hier
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Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.